Geschichten aus dem Handwerk


Geschichten aus dem Handwerk

Geschichten aus dem Handwerk
Das Handwerk ist vielfältig, bunt, herausfordernd und erfüllend. Und es steckt voller spannender Geschichten! Wir haben Ihnen hier eine Sammlung von Hintergrundberichten zusammengestellt, die mehr als den reinen Nachrichtenwert enthalten. Sie handeln von ungewöhnlichen Orten, unerwarteten Ideen bei der Suche nach Lösungen für ganz alltägliche Probleme und vor allem von Menschen, die voller Leidenschaft für ihr Handwerk sind.

Wir wünschen viel Spaß beim Lesen!
 

„Klänge nicht von dieser Welt“ entlocken

JUBILÄUM: Seit 150 Jahren erschafft Orgelbau Fleiter die Königin der Instrumente. Heute gehen Restaurierung und Digitalisierung in diesem uralten Gewerk Hand in Hand.


Orgelbauer Stefan Linke
Foto: © Verlagsanstalt


„Eine handwerklich gebaute Pfeifenorgel soll Jahrhunderte überdauern“, das ist der Anspruch der Unternehmer Stefan Linke und Eberhard Hilse. Was es heißt, uraltes Handwerk in die Moderne zu überführen, zeigt Orgelbaumeister Linke an einem abgenutzten Spieltisch aus einer Kirche, den er in seiner Werkstatt generalüberholt. Das Stück wird auseinandergebaut, jedes Teil gereinigt und größtenteils restauriert. Beim Zusammensetzen werden die Tasten von unten elektronisch verdrahtet und dann ließe sich das Instrument auch mit Bluetooth- und WLAN-Anschlüssen kombinieren. So könnte man es mit dem Handy aus der Ferne stimmen. Aber für Linke ist diese Innovation nur relativ: „Was hält wohl länger, die Orgel, die mit Restaurierungen dreihundert Jahre alt werden kann, oder die Elektrotechnik?“, fragt er lächelnd.

Orgeln haben eine Historie biblischen Ausmaßes. Sie sind seit der Antike bekannt. Die erste orgelartige Konstruktion stammt von 246 vor Christus. Ab dem neunten Jahrhundert wurden Orgeln für Kirchen hergestellt. Wolfgang Amadeus Mozart nannte die Orgel wegen ihrer Dimensionen und Klangvielfalt die „Königin der Instrumente“. Der romantische Schriftsteller Honoré de Balzac schrieb über die Orgel, sie sei ein ganzes Orchester, von dem eine geschickte Hand alles verlangen, auf dem sie alles ausführen könne. Er empfand sie als „das kühnste und das herrlichste aller von menschlichem Geist erschaffenen Instrumente“. Im Dezember 2017 nahm die UNESCO den Orgelbau in die Liste des immateriellen Kulturerbes auf. Seit Anfang 2020 gilt für den Orgelbau wieder die Meisterpflicht. Die einzige Meisterschule in Deutschland ist in Ludwigsburg. Hier findet auch die überbetriebliche Unterweisung der Lehrlinge statt.

In Münster bauten vier Generationen der Familie Fleiter – Friedrich, Ludwig, Friedrich und Friedhelm – seit 1872 rund 1.200 Orgeln. Diese stehen in der Region, in vielen Teilen Deutschlands, einige aber auch in Peru und in Moldavien. 2007 übernahm Eberhard Hilse den in der Branche weithin bekannten Handwerksbetrieb. 2016 stieg Stefan Linke als Mitgesellschafter ein. Seit der Betriebsübergabe wurden weitere 50 neue Orgeln erschaffen. Kirchenaustritte, sinkende Kirchensteuereinnahmen, weniger Priester, Kirchenschließungen und -zusammenlegungen und ein wachsender Gebrauchtorgelmarkt machen den Neubau jedoch mittlerweile selten. Bei Orgelbau Fleiter mit seinen zehn Mitarbeitern und einem Auszubildenden geht nur noch etwa ein solcher Auftrag pro Jahr ein. Das meiste sind Umbauten und Restaurierungen.

Der Bund Deutscher Orgelbaumeister zählt 140 Werkstätten als Mitglieder. Linke schätzt, dass nur noch dreißig Betriebe ein vergleichbar komplettes Portfolio anbieten wie Orgelbau Fleiter. Die Gewinnung von Fachkräften ist nicht leicht. Der Arbeitsplatz der Orgelbauer ist zum Großteil in der Kirche; oftmals müssen die Musikinstrumentenmacher reisen. Das sollte man mögen.

Heute werden neue Orgeln mit modernster Computertechnologie innovativ entwickelt, konzipiert, gezeichnet und dann im Team fachlich qualifizierter Handwerker gebaut. „Orgelbau ist echtes Handwerk, bei dem man auch dreckig wird“, betont Linke. Komplette Tischlereikenntnisse, Feinmechanik und Elektrotechnik sind ebenso gefordert und wie der Umgang mit schweren Bauteilen. Die kleinste Pfeife misst 1,1 Millimeter, die größte 12,5 Meter. Jede hat ihren festen Platz im Gesamtgefüge. Dreißig Arbeitsschritte sind nötig, um eine einzige Orgelpeife zu produzieren. Stilkunde und Kundenkontakt gehören zum Berufsbild dazu.

Er selbst sei durch Zufall – einen Wink des Schicksals – zum Handwerk gekommen, erzählt der Unternehmer. „Ich wollte einen Beruf erlernen, der mit Musik zu tun, und dachte zunächst an Musikalienhändler.“ Die Dame vom Arbeitsamt habe ihm abgeraten. Das sei eher etwas für Abbrecher eines Musikstudiums. Aber sie hatte ein Lehrstellenangebot für einen Orgelbauer in der Schublade. Linke war begeistert. „Hier baue ich etwas mit meiner Hände Arbeit, damit alles funktioniert und man Musik hört.“ Er bezeichnet sich heute als „mit Leib und Seele Orgelbauer“. Orgelspiel verbinde er mit Musik, nicht mit der Kirche. Linke findet auch andere Stile als Kirchenmusik auf der Orgel interessant. Ihm gehe es um das Instrument – und das größte Instrument der Welt zu bauen und Klänge entlocken, die nicht von dieser Welt seien, sei erhebend.

Linkes Lieblingsregister ist das „Prinzipal 8“. Er ist ein Meister der Intonation, was je nach Orgel bis zu vier Wochen dauert. „Danach möchte man aber erst einmal gar nichts mehr hören, keine Töne, keine Musik.“ Stille. Das 150. Jubiläum feierte Orgelbau Fleiter mit einem Festakt im Billerbecker Dom mit Bischof Dr. Felix Genn und einer Konzertreihe.

Von Vera von Dietlein
Oktober 2022

Junge Handwerksunternehmer geben Bewerbungstipps

"Bei Interesse einfach persönlich in den Betrieb gehen"

v.l. Justin Borghoff, Anas Kelli, Kevin Lartz
Foto: © HWK/Studio Wiegel


Es ist noch gar nicht lange her, dass Justin Borghoff (27) und Kevin Lartz (28) aus Münster selbst Auszubildende im Handwerk waren. Jetzt bilden sie als Unternehmer selber aus. In ihrem Autohaus „GetYourCar“ erzählen die beiden Freunde von ihrer eigenen Berufswahl, den Weiterbildungswegen und der gemeinsamen Existenzgründung – und sie geben Einblicke, was für sie bei der Einstellung von Lehrlingen zählt.
 
Lartz: „Wir kommen beide aus Handwerkerfamilien. Justins Vater hat ein Bauunternehmen und mein Vater ist angestellter Tischler. Für uns war das Handwerk schon in der Schulzeit spannend. Man ist immer in Bewegung und kann eigenständig etwas mit den Händen erschaffen.“ Mit der Idee im Kopf, eines Tages den elterlichen Betrieb zu übernehmen, bewarb sich Borghoff nach der Schulzeit erfolgreich bei einem anderen Unternehmen um eine Lehrstelle als Beton- und Stahlbetonbauer. Lartz fand den Ausbildungsplatz in seinem Wunschberuf als Kraftfahrzeugmechatroniker.
 
Beide konnten ihre Lehrzeit wegen guter Leistungen verkürzen und entschieden sich zeitversetzt nach der Gesellenprüfung für ein einjähriges Fachabitur. Lartz schrieb sich anschließend für ein Maschinenbaustudium mit Schwerpunkt Fahrzeugtechnik ein. Zur Finanzierung ihrer Bildungsambitionen gründeten die Freunde vor sieben Jahren zusammen den „Autohandel-Wolbeck“ für Gebrauchtwagen.
 
Dann passierte ein einschneidendes Erlebnis: Lartz hatte einen Unfall und wurde für ein halbes Jahr aus dem Studium gerissen. Als Borghoff ihn einmal wieder im Krankenhaus besuchte, wurde ihnen bewusst, dass das Studium und die Selbstständigkeit nicht unter einen Hut zu bringen waren. Sie beschlossen, ihre bisherigen Lebenspläne aufzugeben und gemeinsam die eigentlich nebenbei gedachte Selbstständigkeit „volle Hacke“ auszubauen, ihr Geld mit Autos zu verdienen.
 
So wurde der „Autohandel-Wolbeck“ in „GeYourCar“ umgegründet, das Konzept der Autosuche zum Pauschalpreis ausgeweitet und eine Werkstatt ergänzt. Dafür erteilte die Handwerkskammer Münster eine Ausnahmebewilligung, bis Lartz die Meisterschule in Teilzeit beim Bildungszentrum (HBZ) Münster erfolgreich abschloss und als Meister auch die Betriebsleitung übernahm. Heute haben die beiden Unternehmer zehn Beschäftigte und einen Auszubildenden, den Syrer Anas Kelli, der Kraftfahrzeugmechatroniker werden will. Im Sommer steigen zwei weitere Azubis ein.
 
Als Chefs sehen es Borghoff und Lartz am liebsten, wenn Jugendliche, die sich um eine Lehrstelle bewerben möchten, einfach in den Betrieb kommen, um einen persönlichen Kontakt herzustellen und ihre Unterlagen einzureichen. „Beim ersten Eindruck achte ich auf vernünftige Kleidung – Jogginghosen gehen gar nicht –, wie Auftreten und Gesprächsverhalten sind, ob man sich beispielsweise mit Namen vorstellt und ob man sich schon über den gewünschten Beruf und den Ausbildungsbetrieb informiert hat“, spricht Lartz über seine Erfahrungen bei der Auswahl von Auszubildenden. Besondere Aufmerksamkeit legt er auch darauf, ob die Bewerbungsunterlagen „vernünftig“ sind. E-Mails ohne Betreff und Anschreiben, nur mit angefügter Bewerbung sind ein Absagegrund. Wenn die erste Begegnung dagegen einen guten Eindruck hinterlässt und die Bewerbung passt, laden die Jungunternehmer gern zum Probearbeiten ein.
 
Kelli ging in Begleitung seines „Paten“, eines älteren Herrn, der dem jungen Geflüchteten half, seinen beruflichen Weg zu finden, das erste Mal ins Unternehmen. Lartz fiel direkt auf, dass Kelli den Beruf wirklich lernen wollte. An den Probetagen bewies er Fleiß, handwerkliches Geschick und hinterließ als Person ein positives Bild. Er wurde eingestellt. „Anas muss sich in der Schule wegen seiner noch unzureichenden Deutschkenntnisse sehr anstrengen. Aber er macht sich gut und zeigt große Lernbereitschaft“, sieht sich der Handwerksmeister in seiner Personalauswahl bestätigt.
 
Überhaupt der Wille, einen Beruf zu erlernen – diesen bewerten die Unternehmer höher als schulische Aspekte. „Man muss nicht das beste Zeugnis haben, wenn man einen Ausbildungsplatz ergattern will, sondern sollte einfach so in einen Betrieb gehen, sich vorstellen und zeigen, dass man sich bemüht“, wollen sie ermuntern.
 
Als Arbeitgeber und Ausbilder legen die Jungunternehmer auf Expansionskurs Wert auf die gute Stimmung und ein ausgeprägtes Sozialverhalten im Betrieb. Das Betriebsklima sei das A und O. „Selbstständig zu sein bedeutet deutlich mehr Verantwortung zu übernehmen als bei einer Anstellung. Aber man bekommt auch viel zurück, wenn man viel hereingibt. Es gibt keine Grenzen nach oben, was man erreichen kann“, betont Borghoff zufrieden.
 
 
Von Vera von Dietlein
Januar 2021

Den Lockdown bestmöglich nutzen

Die Ungewissheit, wann der Corona-Lockdown ende, stelle die Friseure vor große Herausforderungen, erklärt Friseurmeisterin Tanja Hartmann, Inhaberin des Salons Haar & Design Wahlbrink in Ibbenbüren.

Foto: © Studio Wiegel/HWK

Die Stimmung in der Branche sei angespannt. „Wir dürfen zumindest Perücken weiterhin anpassen. Unser Team versucht die Zwischenzeit möglichst sinnvoll zu nutzen. Wir haben die Webseite neu gestaltet und die Nutzung Sozialer Medien intensiviert. Es gibt Frisurentipps per Onlineberatung und Pflegeprodukte zum Kauf. So wollen wir mit unseren Kunden in Kontakt bleiben. Ich habe auch mein Energiekonzept optimiert und nach umfangreicher Vorbereitung in regenerative Technologien investiert – für mehr Nachhaltigkeit meines Salons. Ich hoffe, dass es bald weitergeht. Das Team und ich stehen mit einem gut durchdachten und bewährten Hygienekonzept in den Startlöchern.“

Von Vera von Dietlein
Januar 2021

Teilelieferung wird schwieriger

Das Beschaffen von Zulieferteilen, besonders aus hochwertigem Edelstahl, sei seit Jahresbeginn zu einem Problem geworden, berichtet Josef Wierling. Er ist Geschäftsführer des gleichnamigen Metallbaubetriebs in Nordkirchen.

Foto: © Teamfoto Marquardt/HWK

„Diese Stahlknappheit habe ich im Dezember noch für nicht möglich gehalten. Wir haben viele Kunden aus Asien, vor allem im Schiffs- und Kraftwerkbau. Der Stahl kommt vor allem aus China. Dieses Vorprodukt wird zunehmend knapp, weil wegen der Pandemie weniger als sonst produziert worden ist. Lieferzeiten verlängern sich, Preise steigen. Damit wird es auch für uns schwieriger, vertraglich zugesagte Liefertermine einzuhalten. Im Moment besteht die große Gefahr, dass wir Aufträge verlieren, weil asiatische Konkurrenten Termine zusagen, die nicht zu halten sind. Der Markt wird härter.“

Von Vera von Dietlein
Januar 2021

Großartige Tat für Riesenwüchsige

Die Brüder Wessels wurden im Jahr des 275. Jubiläums ihres Schuhhauses als „Unternehmer des Jahres 2020“ ausgezeichnet. Bei näherer Betrachtung wird klar, dass die Ehrung einer großartigen sozialen Idee gilt.

Foto: © Teamfoto Marquardt/HWK

An einen Scherz hatten die Brüder Georg und Peter Wessels gedacht, als sie von der Auszeichnung als „Unternehmer des Jahres 2020“ durch die Münsterlandzeitung und die Sparkasse Westmünsterland erfuhren. „Ich dachte, das ist nur etwas für größere Unternehmen“, beschreibt der Ältere, Georg Wessels, seine ersten Gedanken. Aber bei näherer Betrachtung wird klar, dass die Ehrung einer großartigen sozialen Idee gilt, die ihr traditionsbewusstes Schuhhaus mit Orthopädieschuhwerkstatt in Vreden seit vierzig Jahren in die Tat umsetzt. Dass die Anerkennung zum 275. Jubiläum des handwerklichen Familienbetriebs verliehen wird, würdigt zudem die Leistungen der Dienstleister mit Mission für Riesenfüße.

Schon als sie in jungen Jahren plötzlich den elterlichen Betrieb übernehmen mussten, war Orthopädieschuhmachermeister Peter Wessels für die Werkstatt zuständig und Georg Wessels für den Verkauf. Sie wollten den Handel spezialisieren und stellten ihr Programm schlagartig von Normal- auf Übergröße um. „Für den Erfolg dieses Schrittes war Bekanntheit entscheidend“, sinniert Georg Wessels. Jemand machte das Guinessbuch der Rekorde auf die Münsterländer aufmerksam. Von dort kam die Anfrage, ob sie Schuhe für den Mann mit den größten Füßen der Welt fertigen wollten – für Mister Harley Davidson aus den USA mit Schuhgröße 69. Die Wessels bekamen Maße und Fußabdrücke, stellten die Schuhe her und sicherten sich so 1982 den Rekord.

Aber das war erst der Anfang. Die Brüder erkannten, welche gesundheitlichen Probleme riesenwüchsige Menschen haben. Die meisten leiden an Akromegalie, bei der die Hirnanhangdrüse unaufhörlich Wachstumshormone ausschüttet. Die Erkrankten werden immer größer; oft kommt Diabetes mit Fußwunden hinzu. Mangelndes Schuhwerk wird bei dieser Kombination zum Überlebensrisiko. Meistens leben Riesen in bitterarmen Ländern, wo sie oftmals verlacht, ausgestoßen, geächtet oder auch misshandelt werden. Die Vredener machten sich auf, mit eigenen Mitteln das Leid dieser Menschen zu lindern. Mehr als 500 maßgefertigte Riesenschuhe haben sie mittlerweile Erkrankten in Amerika, Russland, Asien und Afrika geschenkt. In den allermeisten Fällen vermisst Georg Wessels die Füße vor Ort, bringt einen Abdruck in die Werkstatt mit, wo die Schuhe produziert werden. In einer zweiten Reise überreicht er die Schuhe und schaut, ob sie auch wirklich passen. Alle Kosten trägt er selbst. Nur Material wurde zuweilen vom Unternehmen nora systems in Weinheim gespendet. Viele der Riesen in fernen Kontinenten sind Wessels Freunde geworden. Sie werden über Jahre von ihm begleitet und versorgt. Wessels erfährt von ihren Nöten und nimmt an ihrem Leben Anteil. Er sagt: „Ich bin stolz, dass wir helfen dürfen.“

Seit Beginn der Corona-Pandemie entfallen die Fernreisen, aber die Hilfe geht weiter. Neulich wurde über die Deutsche Botschaft in Caracas, Venezuela, der Fußabdruck von Jeison Rodriguez mit Schuhgröße 67 eingeschickt. Die fertigen Schuhe der Vredener Handwerker wurden über die Kirchenorganisation Adveniat an den dortigen Bischof übergeben. „Dessen Boten sollten die Spezialschuhe zu Jeison bringen, wurden aber auf der Autofahrt überfallen, ausgeraubt und waren froh, mit dem Leben davon gekommen zu sein. Die Erleichterung war groß, als sich schließlich herausstellte, dass die Schuhe beim Bischof vergessen worden waren.“

Georg Wessels hat zahlreiche solch herzerwärmender Erlebnisse in seinem Buch „Für die größten Füße der Welt!“ festgehalten. In kurzen Filmen auf der Website seines Unternehmens liest er daraus vor und erzählt von menschlichen und abenteuerlichen Begegnungen. Sein Traum ist die Gründung einer Stiftung, damit die Versorgung von Riesen in armen Ländern mit Schuhen auch in Zukunft gesichert bleibt.

Die neunte Familiengeneration ist im vergangenen Jahr in die Betriebsleitung eingestiegen. Die Werkstatt läuft, der Lockdown nagt trotzdem an der Substanz des Unternehmens mit 25.000 Kunden in ganz Europa. „Aber wir werden es schaffen“, ist Wessels sicher. Ebenfalls wegen Corona wurde der Festakt anlässlich der Auszeichnung in den Sommer verlegt.

Von Vera von Dietlein
Januar 2021

Handwerk an außergewönlichen Orten

Brot pur mit Feuer und Zeit: Jörg Terjung backt im Burgofen – nicht als Museumsbäcker, sondern als Unternehmer.

Foto: © Teamfoto Marquardt

„Hier komme ich her, hier bin ich zu Hause, hier ist meine Scholle – in Lüdinghausen.“ Konditormeister Jörg Terjung ist ein paar Schritte von der imposanten Burg Vischering entfernt aufgewachsen. Seit acht Jahren ist der Unternehmer auch handwerklich mit der wehrhaften Festungsanlage aus dem 13. Jahrhundert verbandelt, als Burgbäcker.

„Wenn ich morgens um sieben auf dem Burgplatz stehe und die Sonne aufgeht, genieße ich die Zeit.“ Erste Handlung ist es, Feuer im historischen Holzofen zu entfachen. Dessen Außenwände sind aus Ziegeln des 17. und 18. Jahrhunderts gemauert. „Guck mal, hier sieht man die Abdrücke von Kinderfingern, die die Ziegel geformt haben.“ Terjung streicht mit der Hand über die Eindrücke im gebrannten Ton. Der Ofen stand ursprünglich woanders und wurde im Backhaus der Burg wiederaufgebaut. Die Innenfläche von 2,3 mal 1,4 Metern besteht aus neuem Schamott, die Ofentür aus Gusseisen. Terjung legt 16 Scheidt Eichen- oder Buchenholz hinein und zündet sie an. Im Winter sind es 22. Erst dann trinkt der Meister eine erste Tasse Kaffee mit Blick auf die historische Kulisse, den Wassergraben und die Bäume ringsum.

Die ab 1 Uhr nachts hergestellten Teiglinge für Brot, Brötchen und Gebäck aus seiner Bäckerei im Ort werden angefahren und im „Brauhaus“ gegenüber gelagert. Terjung bevorzugt Getreide aus der Region. „Der Dinkel wird hier um die Ecke angebaut.“ Er schätzt es, wenn er die Felder selbst besichtigen kann. Seine Teige mischt er teils nach mittelalterlichen Rezepten – etwa Rosinenbrot, Grafenbrot für die „feinen Leute“ und Gesindebrot aus Natursauerteig für das „einfache Volk“. Teilweise experimentiert Terjung, der auch geprüfter Brotsommelier ist: Zu den eigenen Rezepten gehören schwarze Brötchen mit essbarer Kohle, grünliche mit Algenpulver und Kürbiskernen sowie rötliches Brot mit Rote Bete und Apfel.

Die Steine im Ofeninneren brauchen drei bis vier Stunden, bis die Glut sie auf 500 Grad Celsius erhitzt und die Temperatur anschließend auf 220 Grad abfällt. Das ist zum Backen ideal. „Früher haben die Bäcker ihre Hand in die heiße Ofenluft gehalten. Wenn man es dann schaffte, ein Vaterunser zu Ende zu beten, war die Hitze genau richtig“, erklärt Terjung lächelnd. Er nimmt stattdessen lieber das Laserthermometer, das in allen Ecken der Fläche die Gradzahl misst. Die Glut wird aus dem Ofen gezogen und der Boden mit einer „Bäckerfahne“ gereinigt: Das nasse Tuch an einer langen Stange erzeugt Dampf für eine krosse Kruste.  

Jetzt geht’s los!  Die Laibe werden eingeschnitten, einige mit einem traditionellen Kreuz. „Das nannte man früher einsegnen“, weiß der Handwerker. Mit einem „Schießer“ werden die Teiglinge auf dem Stein verteilt. Das Holzaroma beim Backen verleiht einen besonderen Geschmack. Fertig sind die Brote, wenn sie sich beim Klopfen dumpf und trocken anhören. Dann kommen Brötchen und Kuchen hinein. Backen ist hier Handarbeit pur und viel Erfahrung. Jeden Tag gibt es Nuancen im Ergebnis, je nachdem, wie heiß der Ofen geworden ist – und täglich aufs Neue ist Terjung begeistert von Brot.

Das Gebäck wird durch eine offene Holzklappe des Backhauses verkauft. „Die Entscheidung, als Betrieb auf die Burg zu gehen, war genau richtig“, weiß Terjung heute. Dass das Konzept so erfolgreich aufgeht, war aber anfangs nicht klar. 2012 suchte der Kreis Coesfeld, der die Anlage verwaltet, einen Pächter für das modernisierte Burgrestaurant. Terjung bewarb sich mit seiner Konditorei und dem Plan für ein neues „Café Reitstall“. „Für mich war das volles Risiko. Wir sind ein Familienbetrieb. Ich bin Vater von drei Kindern und sorge als Übernehmer für die Alterssicherung meiner Eltern.“ Im Bewerbungsgespräch erzählte er von seiner Idee, auch das alte Backhaus zu beleben. Die Entscheider waren überzeugt und erteilten den Zuschlag.

Rückblickend sieht er: „Es war eine Riesenchance.“ Die Burg ist bei Tagestouristen beliebter denn je und der Andrang vor der Backstube immer größer geworden: Lüdinghäuser und Burgbesucher mögen das Besondere. Geschichten aus Burg Vischerings Vergangenheit sprudeln nur so über die Lippen des Konditormeisters. Aber er ist kein Museumsbäcker; er sieht als Unternehmer am historischen Arbeitsplatz einen Gewinn.

Im nächsten Jahr feiert Burg Vischering den 750. Geburtstag. Die Preiselbeertorte zum Jubiläum hat Terjung schon kreiert.

Von Vera von Dietlein
August 2020

Mit Selbstvertrauen in Selbstständigkeit

Für David Baumann ist eine neue Zeit angebrochen: Der Installateur- und Heizungsbauermeister, der seine Meisterprüfung zu Beginn des Lockdowns am 17. März vor der Handwerkskammer Münster abgelegt hat, setzte seine Existenzgründungspläne Corona zum Trotz in die Tat um.

Foto: © Teamfoto Marquardt

Mit der Eintragung eines eigenen Sanitär-Heizung-Klima-Betriebs in Münster zum 1. Juli in die Handwerksrolle ist er einer von 945 Handwerkerinnen und Handwerkern im Kammerbezirk, die ihre Idee einer Selbstständigkeit zu Pandemiezeiten verwirklichten. Das sind 16 Prozent weniger als von Anfang März bis Ende Juni des Vorjahres. „Ich habe alles gründlich vorbereitet“, ist sich Baumann sicher. „Der Firmwagen steht schon vor der Tür und ist zur Einrichtung bereit. Software und die eigene Homepage sind die nächsten Baustellen. Die Fahrt zu Kunden kann losgehen. Es läuft gut.“

Von Vera von Dietlein
August 2020

Betriebsübernahme durchgezogen

19 Handwerkerinnen und Handwerker haben in Zeiten der Pandemie einen bestehenden Betrieb im Kammerbezirk Münster übernommen und machen als Unternehmer weiter. Einer davon ist Konditormeister Günther Pfeffer. Er trat mit der „Pfeffer Café Konditorei“ die Nachfolge des Traditionshauses Fischer in Datteln an.

Foto: © Teamfoto Marquardt

Die Übergabe war von langer Hand geplant und eingeleitet worden“, berichtet Pfeffer, der bereits 2010 eine Konditorei in Unterfranken gründete und mit seiner Frau zurück ins Ruhrgebiet wollte. „Wir haben den Übernahmeprozess nach dem Lockdown durchgezogen. Seit 1. Juni beschäftige ich die acht Mitarbeiter des Vorgängers weiter. Das Café umfasst 90 Sitzplätze. Von Von März bis Oktober kommt die Außenterrasse mit sechs Tischen dazu.

Da wird das jetzige Abstandsgebot zur besonderen Herausforderung, weil nur noch die Hälfte der Plätze besetzt werden darf. Die Kuchentheke fasst etwa 35 Torten. Dazu kommen Pralinen, Schokoladen und weitere Naschereien. Zusätzlich habe ich einen Online-Shop eröffnet und biete Seminare und Workshops an. So hoffe ich, mit meiner langjährigen Erfahrung als Unternehmer und mit Engagement die Krise zu meistern.“

Von Vera von Dietlein
August 2020

„Wir liefern!“

Als der Einzelhandel Mitte März wegen der Corona-Schutzmaßnahmen weitestgehend schließen musste, hatte die Zweiradsaison gerade erst begonnen und war im Fahrradgeschäft „Drahtesel“ in Münster die Neuware frisch eingetroffen. Im ersten „Shutdown-Schreck“ schrieb Inhaber Raimund Gerwing spontan mit weißer Wandfarbe „Wir liefern!!“ aufs Schaufenster.

Foto: © Teamfoto Marquardt

Mit Stamm- und Neukunden kommunizierte der Betrieb über Telefon, E-Mail, soziale Medien und die Internetplattform „muensterbringts.de“. Der Service der innerstädtischen Lieferung von Fahrradzubehör per Lastenrad kam ebenso gut an wie ein Fragebogen für den Radkauf auf der Firmenwebsite. Mitarbeiter der geöffneten Werkstatt stellten auf Basis der Antworten kontaktlos passende Angebote vor die Tür und Kunden holten ihre Wahl persönlich mit dem gebotenen Abstand ab. Auf Wunsch wurden auch Räder nach Hause gebracht. Nachdem der Umsatz zunächst auf Null abgestürzt war, kletterte er später auf 60 Prozent vom Normalniveau. „Kurzarbeit konnte damit verringert werden“, so Gerwing. In der unfreiwilligen freien Zeit installierte „der Drahtesel“ eine neue EDV-Anlage. Der erfolgreiche Lieferservice wird nach der Ladenneueröffnung nachjustiert.

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Von Vera von Dietlein
Juni 2020

Hut ab vor den Kräften im Verkauf

Für Bäckereien, Konditoreien und Fleischereien gab es keinen Corona-Lockdown. Sie hatten die ganze Zeit über geöffnet und dienten der Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung. Aber auch für sie ist diese Phase voller Herausforderungen.

Foto: © Teamfoto Marquardt

„Unser Umsatz brach um 30 Prozent ein, 20 Prozent Kurzarbeit wurden eingeführt. Die Großverbraucher fielen weg, der Cafébereich war erst geschlossen und kann auch danach nur zu einem Bruchteil genutzt werden“, sagt Bäckermeister Georg Krimphove, der mit seinem Sohn Christopher Krimphove (Bild) Inhaber von „Der Gute Bäcker H. Krimphove“ in Münster ist. Aber er wolle nicht klagen, betont der Seniorchef: „Es gerade nicht vergnügungssteuerpflichtig. Aber wir kommen da durch.“ Er ziehe den Hut vor seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Verkauf, die die ganze Zeit über Backwaren über die Ladentheke reichten, selbst als es noch keine Infektionsschutzscheiben, Abstandsregeln und Maskenpflicht gegeben habe und als die Ansteckungsgefahr höher gewesen sei, so Krimphove. Er führte auch einen Lieferservice ein, mit dem Einkäufe für alle erledigt werden können, die nicht raus möchten, können oder sollen.

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Von Vera von Dietlein
Juni 2020

Maschinenabnahme mit VR-Kamera

Reiseverbote, Kontaktsperren und die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie lassen nicht nur Lieferketten reißen, sondern können darüber hinaus auch die Abnahme von Exportprodukten in andere Länder und ferne Kontinente vor bislang ungekannte Hürden stellen. Die Abnahme ist jedoch Voraussetzung für die Bezahlung. Digitalisierung als Lösung auch für dieses Problem hat das Maschinenbauunternehmen Laubinger + Rickmann für sich entdeckt.

Foto: © Teamfoto Marquardt

Zum Sortiment des Handwerksbetriebs gehören hochkomplexe Maschinen zur zerstörungsfreien Materialprüfung. Kunden sind unter anderem Flugzeug- und Automobilbauer. Bislang reisten Vertreter der Abnehmer aus vielerlei Ländern nach Nordwalde, um in den Werkhallen des Unternehmens ihre fertige Maschine in Augenschein zu nehmen. Das ist derzeit nicht möglich. Aber wo ein Wille, da ein Weg: Mit einer Virtual Reality (VR) Kamera führt Mitarbeiter Matthias Volpers durch die Finessen der gebauten Maschinen. Der Kunde sieht auf seinem Bildschirm das fertige Produkt und kann dessen Güte beurteilen. So lassen sich auch jetzt Abnahmen aus dem Ausland von Leistungen bewerkstelligen – und der Betrieb kann Rechnungen für seine Leistungen stellen.

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Von Vera von Dietlein
Juni 2020

Schutzscheiben auf einmal so relevant

Auch bei der Münsteraner Glaserei Heinrich Niggemann schlug die Corona-Krise im März ein. Es war nicht mehr möglich, auf großen Baustellen zu arbeiten; ganze Montagetrupps mussten in Kurzarbeit gehen. Nicht lange dauerte es jedoch, bis das Telefon nicht mehr stillstand.

Foto: © Teamfoto Marquardt

Inhaber von Praxen, Kanzleien und Läden riefen an. Die meisten Gespräche begannen mit: „Ihr müsst mir helfen!“ Gebraucht wurde auf einmal eine große Zahl von Trennwänden für Großraumbüros, Infektionsschutzscheiben, Glas zwischen Schreibtischen, vor Theken und so weiter. Das pufferte den plötzlichen Einbruch der Arbeitsauslastung in dem Handwerksbetrieb ein bisschen ab. Mittlerweile hat der akute Bedarf an Sonderanfertigungen für den Infektionsschutzbedarf wieder nachgelassen. Glasermeister Dirk Niggemann (Bild) ist aber optimistisch: „Gläserne Trennwände in großen Büros werden wohl auf Dauer Trend. Sie vermitteln Freiraum und moderne Großzügigkeit, aber bieten gleichzeitig Schutz vor Viren bei der nächsten Erkältungswelle.“ Sein Fazit: „Wir werden gut durch die Krise kommen.“ Dabei hatte er vorher nicht damit gerechnet, dass die Leistungen der Glaser bei der Bekämpfung eines Virus dermaßen relevant sein würden.

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Von Vera von Dietlein
Juni 2020

Existenzgründung mit Optimismus

Mitten im Lockdown beschlossen Maurermeister Maximilian Filoda und Marcel Schmitz, ihre Pläne durchzuziehen: Als Duo machten sie sich am 2. April mit dem Bauunternehmen M2Bau in Billerbeck selbstständig.

Foto: © Teamfoto Marquardt

„Kurz haben wir noch gezögert, als die Krise aufkam, und alles erneut überdacht, auch ob wir jetzt nicht doch besser Arbeitnehmer bleiben. Aber alles war gut vorbereitet. Schließlich hat der Optimismus gesiegt“, erzählt sich Filoda. Die beiden kennen sich, seit Filoda Schmitz bei einem anderen Handwerksbetrieb zum Maurer ausbildete. Sie stellten fest, dass sie gut miteinander arbeiten können, und beschlossen irgendwann, zusammen ein eigenes Unternehmen zu gründen. Auch Schmitz hat sich im Handwerkskammer Bildungszentrum Münster auf seine Maurermeisterprüfung vorbereitet. Die sollte eigentlich im Mai abgeschlossen sein, aber wurde wegen der Virusgefahr verschoben. Den Schritt in die Selbstständigkeit in Pandemiezeiten bereuen beide nicht. „Es war genau richtig“, freut sich Filoda. Erste Aufträge kamen rasch – es läuft auf dem Bau, trotz Corona.

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Von Vera von Dietlein
Juni 2020

Waschbeckennot macht erfinderisch

Als Dagmar Müller von der Coronaschutz-Vorgabe hörte, dass sich alle Schülerinnen und Schüler einer Klasse nacheinander die Hände waschen sollen, kam sie auf eine Idee: Mit zusätzlich aufgestellten mobilen Waschtischen ließe sich die Zeit für die ganze Prozedur verkürzen.

Foto: © Teamfoto Marquardt

Müller ist Projektmanagerin bei dem Maschinenbauunternehmen Laubinger + Rickmann in Nordwalde. Dort schlug sie das neue Produkt vor. Normalerweise baut der Handwerksbetrieb computergesteuerte Anlagen. In der Konstruktionsabteilung war aber gerade Leerlauf, weil auch Aufträge aus dem In- und Ausland in den Lockdown gingen. Zwei Tage später hatten die Konstrukteure den Prototypen samt Spender für Wasser, Papierhandtücher und Seife fertig gebaut. Das Wasser fließt über den Anschluss an eine Leitung, wenn ein Schalter mit dem Knie berührt wird. Die Bezirksregierung vermittelt die mobilen Waschtische auf Anfrage an Schulen. Auch das NRW-Schulministerium wurde auf die Idee aufmerksam.

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Von Vera von Dietlein
Juni 2020

Corona-Krise: Vadim Mammadov näht Gesichtsbedeckungen

Der Maßschneider aus Münster näht Gesichtsbedeckungen und verschenkt sie an ältere und bedürftige Menschen. Es wäre ihm auch eine Ehre, in seinem derzeit für Kunden geschlossenen Atelier Kleidung für Krankenhäuser und Arztpraxen zu nähen, teilt Vadim Mammadov mit.

Foto: © Teamfoto Marquardt
Auf die HWK-Blitzumfrage zu den Folgen des Coronavirus fürs Handwerk schrieb Vadin Mammadov, der in Münster die Schneiderwerkstatt „Nähknecht“ betreibt: „In dieser nicht einfachen Zeiten wie heute, bin ich gezwungen mein Atelier leider vorübergehend zu schließen. Gerne möchte ich jedoch mit meinem Beitrag uns alle unterstützen. Aus den Medien und meinem Umfeld weiß ich, dass sich Ärzte und Pfleger im Notstand befinden und es an Hilfsmitteln wie Gesichtsbedeckungen und Kleidung fehlt. Die Hersteller kommen mit den Lieferungen nicht hinterher. Gerne möchte ich mit meinem Beitrag uns alle unterstützen und biete hiermit meine Hilfe an. Ich bin bereit, die Hilfsmittel in meinem Atelier zu nähen, soweit es meine Kraft erlaubt. Mit den erforderlichen Materialien müsste ich allerdings ausgestattet werden, damit alle Richtlinien von mir eingehalten werden können. Es wäre mir eine Ehre die Stadt Münster in dieser herausfordernden Zeit zu unterstützen!“

Bis Kliniken sein Angebot annehmen möchten, näht Mammadov Gesichtsbedeckungen, die er alten und bedürftigen Menschen schenken will. Auch eine Arztpraxis mit Bedarf hat sich schon bei ihm gemeldet. Weißen Baumwollstoff spendete Schneidermeisterin Cäcilia Niewerth. Die Inhaberin eines Stoffgeschäfts in Senden fand seine Idee in den Sozialen Medien und unterstützt sie. Das Bild zeigt Vadim Mammadov durch die Fensterscheibe seines Ateliers. Er trauert selber um einen befreundeten Kollegen, der vor wenigen Tagen im Alter von 38 Jahren in Italien an „Covid 19“ verstorben ist.

Mittlerweile gibt es weitere Schneider, die Ihre Werkstatt und ihr Können bereitstellen wollen. So hat beispielsweise auch das Schneideratelier Nestler in Recklinghausen mit dem Nähen von Gesichtsbedeckungen begonnen. Bei der Handwerkskammer Münster mehren sich die Anfragen, wie sich die interessierten Betriebe dieser Berufsgruppe für den gemeinsamen Dienst vernetzen könnten.

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Von Vera von Dietlein
März 2020

Friseurhandwerk schenkt Bedürftigen Freude

Menschlichkeit: „Zur Nachahmung empfohlen“, mit diesem Etikett versieht Obermeisterin Rosemarie Ehrlich ein Nachhaltigkeitsprojekt der Friseur-Innung Münster.


Foto: © Teamfoto Marquardt

Ortstermin im Treffpunkt an der Clemenskirche: Die katholische Unternehmensgruppe Alexianer mit Sitz Münster unterhält hier spendenfinanziert einen Zufluchtsort mit warmen Mahlzeiten und Unterstützung für Menschen in sozialen Notlagen. An jedem letzten Montag eines Monats sind die Friseure da – verlässlich, ehrenamtlich, in der Freizeit, mit wechselnder Besetzung.

Geöffnet ist von 14 bis 16 Uhr: Mit einfachen Mitteln wird der Raum in einen Salon mit Friseuratmosphäre verwandelt. Auf Tischen stehen Spiegel, das ergibt vier Arbeitsplätze. Jeder Friseur hat sein eigenes Werkzeug dabei. Die Kunden – meist Wohnungslose, aber auch Hartz-IV-Empfänger und verarmte Rentner – haben sich im Idealfall zwei Wochen vorher bei Treffpunktleiter Matthias Eichbauer angemeldet. Sie nehmen im Wartebereich Platz. Zeitschriften sind ausgelegt. Wer an der Reihe ist, kann Frisurwünsche äußern oder sich beraten lassen und bekommt schließlich mit dem gleichen Respekt und der Höflichkeit wie gegenüber zahlenden Kunden einen individuellen Trockenschnitt.

Heute sind Maik Rosenbaum und Zehra Kocak im Einsatz. Für ihn ist es das erste Mal, für sie das zweite Mal. Beide sind Mitarbeiter von Münsteraner Salons, montags haben sie frei. „Ich wollte eigentlich schon immer so etwas machen, aber keine Leute auf der Straße ansprechen“, erzählt Rosenbaum, während er einem Herrn um die Sechzig einen akuraten Mecki schneidet. Deshalb habe er sich im Doodle-Kalender der Innung für heute eingetragen. „Einfach nur so.“ Der Igelschnittträger strahlt für einen Moment, nachdem die Konturen wie genaue Striche gezogen sind. Als Nächstes ist eine Mittfünfzigerin dran. Wie beim letzten Mal hätte sie gern wieder einen Kurzhaarschnitt. Vom Hart-VI-Satz könne sie sich keinen regelmäßigen Friseurbesuch leisten. Sie findet den Freiwilligeneinsatz toll und freut sich wenig später über die gepflegte Frisur.

Kocak macht der Termin Spaß. Sie legt einer verunsichert wirkenden Jugendlichen mit blond-grünen, wild gewachsenen Haaren den Umhang um und macht Vorschläge für ein neues Styling. Schnell scheint die junge Frau offener zu werden, die Anregungen des Profis findet sie gut. Die Fachkräfte finden rasch einen Draht zu den Kunden.

„Die gegenseitige Wertschätzung, die Verlässlichkeit des Dienstes, der persönliche Austausch, die Dankbarkeit für die feste Struktur, durch die wir mit unserem Handwerk Freude schenken“, das macht für Ehrlich den Reiz dieses Nachhaltigkeitsprojektes aus. „Man fragt die Hilfsbedürftigen natürlich nicht, wie sie in ihre Situation gekommen sind. Aber letztens habe ich hier einem Mann die Haare geschnitten, den ich öfters schon draußen habe sitzen sehen. Er hat ein bisschen von seiner Geschichte erzählt.“ So bekomme man Einblicke in die Welt von Menschen, denen es nicht so gut gehe. Allein schon durch die Berührung entstehe Nähe, die Menschen öffne. Empathie spiele in ihrem Beruf generell eine wichtige Rolle – und ganz besonders bei dieser Aktion, ist Ehrlichs Erfahrung.

Entstanden ist das Innungsprojekt auf Anfrage der Alexianer, die sich mit der Idee an die Kreishandwerkerschaft Münster wandten. Hauptgeschäftsführer Jan-Hendrik Schade sagte sofort seine Unterstützung begeistert zu, und der Funke sprang auf die Innungsmitglieder und deren Mitarbeiter über. Sie verpflichteten sich im Februar, den Service kontinuierlich zu übernehmen. Die lokalen Medien berichteten nach einer erfolgreichen Testphase.

Die neueste Idee: Neubauer teilt in Kooperation mit der Innung bei besonderen Anlässen Gutscheine für einen Friseurbesuch in ausgewählten Betrieben aus, etwa vor einem Vorstellungsgespräch.

Friseur-Innungen, die etwas Vergleichbares an ihrem Ort umsetzen wollen, können sich an Jan-Hendrik Schade wenden, Tel.: 0251/ 52008-11, E-Mail: schade@kh-muenster.de

Bildunterzeile
Ein Service, der allen Freude bereitet: Christian Wesselborg (vorn, r.) bekommt im Treffpunkt an der Clemenskirche einen Haarschnitt vom Profi geschenkt. Die Friseure Zehra Kocak (vorn, l.) und Maik Rosenbaum (r.) finden es selber schön, Menschen in sozialen Notlagen mit ihrem Können ein Stück „Normalität“ zu geben. Obermeisterin und Kreishandwerksmeisterin Rosemarie Ehrlich (2.v.l.) und KH-Hauptgeschäftsführer Jan-Hendrik Schade (l.) organisieren den Freiwilligendienst zusammen mit den Alexianer-Mitarbeitern Matthias Eichbauer (Treffpunktleiter hinten, 3.v.l.) und Dr. Martina Klein (Leiterin Fundraising, 3.v.r.)

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Von Vera von Dietlein
Dezember 2019

Die Formel kennen nur Vater und Sohn

Frescolori: Handwerker und Innenarchitekten aus zahlreichen Ländern wollen das Material zur neuartigen Gestaltung von Oberflächen verarbeiten.

Foto: © Peter Leßmann

Die Rezeptur ist streng geheim. Sonntags, wenn kein anderer im Betrieb ist, lässt Frank Ewering die Hallenrolladen herunter und er und Sohn Maximilian schließen sich in einen separaten Raum ohne Fenster ein. Nur sie beide dürfen die Kammer betreten. Kein anderer, niemals. Dann setzen sie die Formel um. Verschiedene Rohstoffe werden in exakten Mengen auf bestimmte Weise vermischt. So wird die Grundmixtur angerührt, die aus pulverisierten Kalk und Carrara-Marmor „Frescolori“ macht. 96 Prozent sind natürliche Ressourcen.

Frescolori ist ein Produkt zur Oberflächengestaltung und der Hit bei internationalen Designpreisen. Die gleichnamige Bocholter Manufaktur „Frescolori – The Art of better Living“ wurde in den letzten Jahren mehrfach dafür ausgezeichnet. Der Handwerksbetrieb produziert, verarbeitet und verkauft Frescolori. Er lässt andere Maler an einer außergewöhnlichen Erfolgsgeschichte teilhaben. Voraussetzung ist, sie haben sich vom Frescolori-Team trainieren lassen. Interessenten kommen aus ganz Deutschland, Europa, Amerika, Asien und Afrika ins Münsterland, um sich einweihen zu lassen.

Denkanstoß für die Innovation war eine Erfahrung, die Frank Ewering 1994 als junger selbstständiger Malermeister mit Faible für edle Techniken machte. „Ich hatte den Auftrag, Wohnräume mit Freskomalerei zu verschönern. Ich trug das Material fachgerecht auf, und als ich am nächsten Tag wieder dorthin kam, klebten an den Wänden hunderte Post-its. Die Besitzerin hatte alle Stellen markiert, die ihr nicht gefielen“, lächelt Ewering. Es lag nicht an seiner Handwerksleistung, sondern am zugekauften Produkt.

Nach der Maler-Meisterprüfung (in dritter Familiengeneration) und Gründung eines eigenen Betriebs in Bocholt begann Ewering sein Experiment. Er suchte einen neuen Werkstoff für farbige Wände mit den besten Eigenschaften. „Zuerst setzte ich auf Ton, trocknete, mahlte, verrührte ihn mit Wasser und erwärmte ihn. Ich habe nachts den Wecker gestellt, um die Paste weiterzuverarbeiten. Das hat aber nicht geklappt.“ Unbeirrt machte er weiter. Heraus kam Frescolori. Die Mischung besteht hauptsächlich aus Kalk und 30 Millionen Jahre altem, weißem toskanischem Marmor. Diese Zutaten, die geheime Mixtur und Farbpigmente werden – immer noch – mit Wasser verrührt und erwärmt.

1999 wurde das Produkt als Marke angemeldet. Es folgte eine rasante Expansion mit Betriebserweiterungen in Bocholt; auch das nächste Gebäude ist bereits in Planung. Über Messen und Empfehlungen zog der Bekanntheits- und Beliebtheitsgrad von Frescolori immer größere Kreise.

Hunderttausend Farben, sieben Körnungsgrade in unterschiedlichen Kombinationen und spezielle Oberflächenbehandlungen eröffnen schier unbegrenzte Designvarianten für Wände, Böden, Decken, Nassräume und Möbel. Architekten favorisieren derzeit vor allem den Betonstil. Beliebt ist das robuste Material bei Kunden auch wegen seiner Natürlichkeit und des gesunden Raumklimas.
Neue Einsatzmöglichkeiten sind hinter Putz verbaute Lautsprecher; der Klang kommt aus Wänden. Zusammen mit einem Beamer, der einen Film auf eine weißliche Marmor-Fläche projiziert, wird das eigene Wohnzimmer zum Heimkino. Ewering deutet weitere Ideen an, ohne sie zu verraten.

26 Mitarbeiter, darunter drei Auszubildende gehören heute zum Team. Die Maler sind oft unterwegs. Sie führen Aufträge in Privaträumen durch, sind aber auch bei Großprojekten von Architekten und Unternehmen dabei. Wenn es auf Baustellen von Verarbeitern besondere Aufgabenstellungen gibt, reisen Ewerings Leute zu Einsätzen rund um den Globus auf Luxusliner, in Nobelhotels, Bürotürme und Ladengeschäfte, um die Qualität zu sichern.

„Wir alle machen das Unternehmen aus“, betont Ewering. Er lebt einen partnerschaftlichen, wertschätzenden Führungsstil und will, dass jeder Einzelne seine Stärken entfaltet. „Natürlich muss am Ende einer entscheiden, und das bin ich, aber ich kann von den anderen selbst viel lernen.“ Es ist auch diese Haltung als Unternehmer, die er seinem Sohn vermitteln will.

Bildunterzeile:
Frank und Maximilian Ewering (v.l.) mischen Frescolori hauptsächlich aus Kalk, Marmor und Farbpigmenten

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von Vera von Dietlein
November 2018

Warmes Wasser für Carolin

Schon so manche Erfindung wurde geboren, weil jemand eine Lösung zur Erleichterung seines Alltags suchte. Die Idee, etwas besser und einfacher zu machen, tauchte Dirk Becker bei der Pflege seiner schwerbehinderten Tochter auf. Heraus kam ein neuartiges Medizinprodukt, die mobile Badewanne – und mehr Entspannung für die ganze Familie.

Bis zu ihrem sechsten Lebensjahr war die jüngste Tochter, Carolin, ein gesundes Mädchen. Nach der Einschulung befiel sie eine fortschreitenden Nervenerkrankung. Diese dehnt sich unaufhaltsam auf den ganzen Körper aus. Heute kann Carolin ihre Glieder nicht mehr selbst bewegen, leidet unter Spasmen, ist blind und hört kaum noch. Dass sie überhaupt den 18. Geburtstag erleben würde, hatten Ärzte vor Jahren eigentlich ausgeschlossen.

Warmes Wasser hilft Carolin, die Muskelspannungen besser zu regulieren. „Baden war aber jahrelang eine enorme Prozedur“, erinnert sich Becker. „Obwohl ein Bad für die Körperhygiene und zur Lockerung der Muskulatur wichtig ist, war es früher nur zweimal in der Woche möglich. „Unsere Tochter wurde dann in den mit Handtüchern ausgelegten Rollstuhl geliftet und wir fuhren mit ihr ins Badezimmer. Dort wurde sie wieder aus dem Rollstuhl heraus- und in die vorhandene Badewanne hineingeliftet.“ Die Tochter habe beim Baden festgehalten werden müssen. Das sei wegen ihrer Körpergröße schnell schwierig und belastend für den Rücken der Pflegenden geworden, erzählt der Vater.

Nach dem Bad wurde Carolin wieder aus der Wanne herausgehoben, in den Rollstuhl gehieft und in ihrem Zimmer fürs Abtrocknen herausgeliftet. Bei diesem zeitaufwendigen Vorgang kühlte sie sehr schnell ab und fühlte sich unwohl. Je schwerer Carolin wurde – sie wiegt mittlerweile 60 Kilo – desto mühsamer wurde der Akt.

Es musste eine Alternative geben! Der Maschinenschlosser tüftelte in seiner Werkstatt und entwickelte ein Gestell für eine Wanne auf vier Rädern. Das Gefährt kann selbst durch schmale Türen leicht geschoben werden. Mit einem Schlauch lässt sich die Wanne über einen normalen Wasserhahn befüllen und dann in Carolins Zimmer neben das Bett fahren. Der Deckenlift hebt Carolin hoch, fährt sie über die Wanne und setzt sie im wohltuend warmen Wasser ab. Dort sitzt sie sicher, ohne die Gefahr des Abrutschens. Die Eltern oder die Pflegekraft können Carolin von allen Seiten rückenschonend umsorgen. Danach geht es über den Lift, der auch das Abtrocknen erleichtert, schnell zurück ins Bett. Die Wanne wird zurück ins Badezimmer geschoben und das Wasser über einen Schlauch in der Toilette, Dusche oder Bodenablauf abgelassen.

Bei der Entwicklung der mobilen Badewanne hat Carolin entscheidend mitgewirkt. „Sie kann zwar nicht mehr sprechen, aber anhand ihrer Mimik und Gestiken konnte ich erkennen, was ihr gefällt und was nicht“, so Becker.

Durch die einfache und schnelle Handhabung im Pflegealltag, werde Carolin nicht nur eine gute Körperpflege ermöglicht, sondern auch eine Verbesserung ihres Allgemeinzustandes, sowohl körperlich, emotional als auch geistig, hat Carolins Ergotherapie Praxis bestätigt.

Mittlerweile ist Dirk Becker davon überzeugt, dass seine Erfindung auch anderen pflegenden Angehörigen, Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern die Arbeit erleichtern und damit vielen kranken, behinderten und alten Menschen mehr Lebensqualität schenken kann. Der Handwerker hat einen Betrieb gegründet, in dem er das Produkt baut. Er nahm Kontakt zur Technologieberatung der Handwerkskammer Münster auf. Hier bekam er den Rat zur Eintragung als Gebrauchsmuster. Die Universität Münster hat über den Beraterkontakt in einer Studie wissenschaftlich festgestellt, dass die mobile Badewanne für die Pflegenden den Rücken weniger belastet. Die Wanne wurde als Medizinprodukt der Klasse 1 eingestuft. Das heißt, sie kann nach ärztlicher Verordnung auf Rezept über ein Sanitätshaus bei der Krankenkasse angefragt  werden. Für die Kosten können Krankenkassen aufkommen. Die Online-Vermarktung ist angelaufen. Aus Liebe zu seiner Tochter hat Becker die Erfindung „Caro“ genannt.

HINTERGRUND
Bei Bedenken, ob die mobile Badewanne „Caro“ in das eigene Badezimmer passt, gibt Dirk Becker Tipps für den Größentest: „Sie nehmen einfach einige handelsübliche Umzugskartons zur Hand, entfernen die innenliegenden Seiten der Kartons und stecken Sie diese so ineinander, dass Sie eine Breite von 75 Zentimeter und eine Länge von 170 Zentimeter haben. In der Regel reichen hierfür sechs Umzugskartons aus. So können Sie bequem zu Hause überprüfen, ob Sie Die Mobile Badewanne in Ihrem Badezimmer vollständig drehen können und ob diese zum Beispiel auch durch Ihre Türen geschoben werden kann.“ Das zulässige Belastungsgewicht liegt bei 255 Kilogramm.


Von Vera von Dietlein
August 2018

Gelato Mio – Italiano Bio

Rosie und Toni Manusé brennen für handwerklich hergestelltes Eis aus besten Rohstoffen in Bioqualität. Ihr Betrieb hat in einem ehemaligen Bundeswehrkasino eine Heimat gefunden.

Foto © Teamfoto Marquardt

Von jeder Zutat, die Rosie und Toni Manusé für ihr Speiseeis auswählen, kennt das Ehepaar die Geschichte. Der Kakao wird in kleinen Margen in Südecuador im Dschungel wild gesammelt und emissionsfrei mit dem Fahrrad ans Meer, dem Segelboot über den Atlantik und dem Lastenrad ins Münsterland gebracht, in ein Coesfelder Naturschutzgebiet inmitten eines Gewerbegebietes auf ehemaligem Militärgelände. Dort haben die biologische Eismanufaktur Gelato Mio und die italienische Familie Manusé ihre neue Heimat gefunden.

Die Johannisbeeren für die Sommerrezepte pflücken eine Bekannte, deren über 80 Jahre alter Vater und der an Down-Syndrom erkrankte Bruder auf einem Feld im Münsterland. Toni Manusé zahlt ihr gern mehr als er es beim Großhandel tun müsste. „Es kommt auf die Menschen an.“

Frische Rohmilch, die Rosie Manusé selbst pasteurisiert, wird „von Kühen in der Region, die Himmel und Gras sehen, gemolken.“ Dem Ehepaar sind alle Details wichtig.

Die von Hand geerntete Pistazien stammen aus Sizilien, da wo Rosie und Toni aufgewachsen sind, vom Fuß des Ätnas. Auf der süditalienischen Insel war sie in der Modebranche und er als Anwalt tätig. Als Hobby bauten Toni und ein Freund in biologischer Landwirtschat Einkorn an und verkauften die antike Getreidesorte über eine Genossenschaft. „Guter Boden, klares Wasser und saubere Luft“, das ist es, was meine Kinder erleben sollen“, wünscht sich der Familienvater.

2010 kam der Anruf aus Deutschland: Tonis Vater, der in den Siebzigern aus Armut ohne Deutschkenntnisse in die Fremde ausgewandert war und mit Ehefrau Angelina eine Eisdiele in Rosendahl betrieb, hatte mit 80 Jahren den dritten Herzinfarkt erlitten. Das Unternehmen sollte geschlossen, die Geschichte von zwei Generationen Eisherstellung beendet werden. Rosie hielt dagegen: „Ich meinte, die Familientradition sollte in die nächste Runde gehen“, und so fiel die Entscheidung. Rosie erlernte zwei Jahre lang beim Schwiegervater die Eisherstellung. Die ganze Familie samt zwei Söhnen zog nach Deutschland um, das Land, das sie bis dato aus den Sommerferien kannten.

2014 übernahmen Rosie und Toni den Betrieb und tauften ihn Eismanufaktur „Gelato mio“ (übersetzt: Mein Eis). Ihr Credo: Hundert Prozent Italiano Bio von Hand gemacht. Sämtliche Zutaten sind zertifiziert aus ökologischem Anbau. „Wir haben es mit viel Leidenschaft geschafft, ein handwerklich unhomogenisiertes Eis nach Slow-Food-Richtlinien und originalen Rezepturen der alten sizilianischen Eiskunstschule, nur mit frischer Milch sowie alten Obstsorten in Demeter-Qualität herzustellen“, freut sich Manusé. Bio und Slow Food heißt für Gelato Mio: gute, faire, saubere Lebensmittel plus Handwerk. Die Rohstoffe stammen ausschließlich von Kleinbauern. „Sie wurden mit viel Liebe produziert, und wir geben diese Energie weiter“, strahlt Toni.

Für Rosie ist Handwerk zur Lebensphilosophie geworden. „Durch das handwerkliche Produzieren kann man sich als Mensch fühlen.“ Sie experimentiert, kreiert stets neue Rezepte und würde gern ausbilden, wenn es Interessenten gäbe. Die Handwerkskammer hat die Ausbildungsberechtigung erteilt.

Schlemmerfans der Eiskugeln finden die Manusés im Umland. Gelato Mio ist zwischenzeitlich ins umgebaute Coesfelder Militärkasino eingezogen, wo Genießer samstags und sonntags willkommen sind. Eine zweite Eisdiele wurde in Münster eröffnet. Zusätzlich steht ein Eiswagen während der Saison freitags auf dem Biowochenmarkt, und davor oft eine lange Kundenschlange. Erhältlich sind die kalten Köstlichkeiten aber auch auf den Slow-Food-Märkten in Deutschland und der Schweiz, wo Rosie und Toni regelmäßig neue Kontakte zu Landwirten knüpfen, denen ein verantwortungsvoller Umgang beim Anbau und artgerechte Viehzucht ebenfalls am Herzen liegen.

Das sizilianische Einkorn verarbeiten die Manusés mittlerweile in einer eigenen „Nudelwerkstatt“ mit Restaurant zu Ravioli, Penne und Spaghetti. „Integration ist, wenn man sich Zuhause fühlt“, so Rosies Überzeugung. Familie Manusé fühlt sich Zuhause.
 
Bildunterzeile:
Rosie und Toni Manusé brennen für handwerklich hergestelltes Eis aus besten Rohstoffen in Bioqualität. Gesüßt wird mit Rohrohrzucker; neben exquisiten Milcheisrezepten gibt es wechselnde Sorten ohne Ei und Laktose – Fruchtsorbet pur.

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Von Vera von Dietlein
Juli 2018

Die Edelhelfer für Kunden und Partner

Mit dem Wunsch, Beruf und Familie besser zu vereinbaren und eigene Ideen umzusetzen, verließ der Unternehmensberater und Manager Carsten Schlieter die Welt der Konzerne und folgte seiner Leidenschaft in die Selbstständigkeit im Handwerk

Foto: © Andreas Buck

Strategie und Konzeption, dafür war Carsten Schlieter Spezialist in seiner Arbeit als Vorstandsassistent und Consultant in Süddeutschland. Die Arbeitszeiten betrugen täglich 14 Stunden, die Karriereaussichten konnten nicht glänzender sein. „Das war in einer anderen Welt“, lächelt der Gründer eines dynamisch wachsenden Handwerksbetriebs mit Sitz in Recklinghausen, der Edelhelfer Handelsgesellschaft. Dafür arbeitet er mit über 60 Stunden die Woche immer noch tüchtig, aber das Leben ist mehr in Balance: Es gibt Zeit fürs Arbeiten, aber auch für Familie – und für viele andere Menschen: Kunden, Freunde, Radfans. Dahin gekommen ist er mit dem, was er beherrscht: Strategie und Konzeption. Am Erfolg will er nun andere teilhaben lassen und gemeinsam wachsen; Carsten Schlieter sucht Kooperationspartner für den hochpreisigen Fahrradhandel mit Service.

Als Schlieter Mitte 30 war, nahm er sich eine berufliche Auszeit und tourte mit Frau und Sohn zwei Monate auf dem Fahrrad durch Europa, im Gepäck eine Biografie von Steve Jobs und im Kopf die Frage, wie es weitergehen sollte. Die junge Familie wollte zurück in die Heimat im nördlichen Ruhrgebiet ziehen. Carsten Schlieter ließ sich von Jobs‘ Rat inspirieren, eine Arbeit für etwas zu ergreifen, für das man vor Leidenschaft brennt. Ihm wurde klar, dass sein Glück auf dem Sattel von Zweirädern liegt – hat er doch schon mit zehn die ersten Räder repariert, seit der Jugend Radsport trainiert, nach dem Abitur eine handwerkliche Ausbildung zum Metallbauer absolviert und mit seinem Diplom als Wirtschaftsingenieur stand die Gründung eines Zweiradmechanikerbetriebs offen. „Was ich nur noch brauchte, war eine Businessstrategie“, so Schlieter.

Er analysierte Stärken und Schwächen zahlreicher Fahrradhändler in Deutschland: Was macht ein Kleiner gut, was ein Großer nicht kann, und umgekehrt? Das Ergebnis: „Ich wollte ein großer Kleiner werden, also eine breite Auswahl an Rädern im gehobenen Segment bis in den Sport bereithalten und gleichzeitig ein Geschäftsmodell mit Personal für eine kompetente Beratung umsetzen“, erklärt der heute 41-jährige Jungunternehmer seinen Ansatz. Im Radfahrerumfeld fand er  Mitarbeiter, die genau das können, und bildet zudem Zweiradmechatroniker für ein Team spezialisierter Fachkräfte aus.
Das Portfolio umfasst darüber hinaus Leistungstests wie für Profis, die Sitzpositionsanalyse für den optimalen Radkauf und die bei Kunden und auch Nichtkunden beliebten wöchentlichen Radfahrten mit Treff bei den Edelhelfern, die das  Miteinander fördern – Socialising.

In viereinhalb Jahren kam das Konzept auf Tour: zwei Standorte in Recklinghausen und Dortmund mit 900 und 800 Quadratmetern Ladenfläche, drei Millionen Euro Umsatz und zwanzig Mitarbeitern. Schlieter schultert eine Finanzierung von 1,3 Millionen und arbeitet bereits am dritten Standort im Ruhrgebiet. Unternehmerische Entscheidungen werden analytisch getroffen, aber:  „Alles, was ich tue, ist mit einem leidenschaftlichen Gefühl verbunden, ich bin nicht mehr so fremdgesteuert wie früher.“

Carsten Schlieter denkt als Entrepreneur immer noch strategisch über den Markt nach: „Konzerne haben die Macht. Der Mittelstand funktioniert dennoch, weil er oft schneller reagiert und individueller bei Lösungen ist. Grundlage dafür ist eine gute Ausbildung.“ Der Unternehmer aus Leidenschaft hat weitere Pläne – möchte stark aufgestellte Partner-Zweiradhändler gewinnen, die gegen einen einmaligen Beitrag und die Bereitschaft zur Investition in den Laden das Konzept der Edelhelfer übernehmen, also Name, Corporate Design und Vermarktung, aber eigenständig bleiben. Alle Partner können in Kooperation Einkaufs- und Verkaufsvorteile für Qualitäts- und Markenprodukte nutzen und sich damit die Verfügbarkeit von Raritäten sichern, was ein starkes Verkaufsargument bei der Zielgruppe ist. Das Sortiment soll zu zwei Dritteln gleich sein und zu einem Drittel regionale Besonderheiten ermöglichen.

„Durch das Miteinander gewinnen alle Partner“, ist Schlieter überzeugt, „in einem sehr stark wandelnden Markt müssen sich die kleinen Unternehmen gut für die Zukunft wappnen, wenn wir nicht unter die Räder geraten wollen.“

Die Edelhelfer-Unternehmensphilosophie soll auch die Kooperationsidee prägen: Im Radsport arbeitet der „Edelhelfer“ in besonderer Position für den Erfolg seines Mannschaftskapitäns und unterstützt ihn in jeder Situation des Rennens. „Wir verstehen uns als Helfer, der seinen Kunden – den ‚Kapitän‘ – mit Kompetenz und hochwertiger Ausrüstung auf dem Weg zu seinem Ziel begleitet.“ Das gelte auch in Kooperationen: Man sei nicht alleine, sondern könne gemeinsam eine Lösung finden und einander helfen. „Das macht Freude“, resümiert Schlieter glücklich über seinen gefundenen Weg.

Bildunterzeile:
Carsten Schlieter ist glücklich darüber, den Weg in die Selbstständigkeit gegangen zu sein. Er gründete einen Zweiradmechanikerbetrieb.

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Von Vera von Dietlein
Januar 2018

Backstube gänzlich glutenfrei

Als der selbstständige Bäcker- und Konditormeister Johann Georg Kisfeld 2005 die Diagnose Zöliakie bekam, hätte sie das Aus für seine Arbeit in der Produktion bedeuten können. Heute übt er sein Handwerk mit mehr Freude denn je aus.

Foto: © Peter Leßmann

Bereits ein Achtel Gramm Getreidegluten über die Luft eingeatmet kann reichen, um bei einem Zöliakieerkrankten schwere Schädigungen des Darms zu verursachen. Für einen Bäcker ist diese Erkrankung schnell der berufliche GAU.

Johann Georg Kisfeld war zunächst nur erleichtert, endlich eine Diagnose für seine Symptome zu haben. „Was das bedeutete, war mir damals noch gar nicht so klar, ich habe weiter unbefangen in unserer Backstube gearbeitet.“ Aber Brot woanders kaufen zu müssen, das wäre dem Münsteraner Unternehmer, der die Bäckerei in der zweiten Familiengeneration führt, „suspekt vorgekommen“, zumal er mit dem Geschmack der üblicherweise erhältlichen glutenfreien Produkte unzufrieden war. Die Experimentierfreude des Meisters und ehemaligen Lehrlingswartes (das Ehrenamt musste er wegen der Krankheit aufgeben) war geweckt. Kisfeld studierte die Inhaltsstoffe glutenfreier Getreidegattungen und Pseudogetreide mit ihren Spurenelementen, Vitaminen und Backeigenschaften. „Es dauerte etwa drei Jahr, bis ich gute Rezepte entwickelt hatte,“ erinnert sich Kisfeld.

Angelika Kisfeld, die als Unternehmerfrau mitarbeitete, vertiefte sich ebenfalls in die Ernährungslehre – „Das ist unser Hobby geworden“, strahlt sie – und bildete sich zur Ernährungsberaterin im Bäckerhandwerk weiter.

Parallel dazu wurde klar, dass Johann Georg Kisfeld einen separaten Arbeitsbereich brauchte, der gänzlich frei von Gluten ist, wenn er weiter in der Produktion des Betriebs im Stadtteil Wolbeck tätig sein wollte und die Glutenfreiheit der Backwaren gewährleistet sein sollte. So wurde ein eigener Raum geschaffen, indem nicht einmal mehlbestäubte Kleidung aus der herkömmlichen Backstube ausgeschüttelt werden darf – eine Kontamination mit Gluten muss vermieden werden – und es wurden neue Maschinen angeschafft. Heute arbeiten neben Kisfeld drei weitere Bäcker ausschließlich glutenfrei und, wie auch im ganzen Hause Kisfeld, nach­­ traditionellen Verfahren mit natürlichen Zutaten, alle mit einem hohen Anteil an Bioqualität und regionalen Rohstoffen.

Das Glutenfrei-Sortiment ist außergewöhnlich reichhaltig: Es umfasst acht Brotsorten, fünf Brötchensorten, 16 verschiedene Kuchen und Süßgebäcke sowie auf Bestellung Hochzeitstorten. Donnerstags ist Waffeltag, wofür ausschließlich, wie selbstverständlich, klebereiweißfreier Teig verwendet wird. „Es wäre zu aufwändig die Waffeleisen so gründlich zu putzen, dass kein Glutenstaub mehr dranhängt“, erklärt Kisfeld. Im großräumigen, hell gestalteten Cafébereich können Kunden auch ein komplettes Frühstück glutenfrei verzehren.

Das Unternehmenskonzept ging auf: Kunden dürfen zwischen vielseitigen konventionellen Backwaren und den glutenfreien Lebensmitteln wählen. Letztere machen mittlerweile 15 Prozent des Umsatzes aus. Das Einzugsgebiet ist weitflächig, manche Kunden von weiter her machen Großeinkäufe und frieren Brote ein. Viele werden von Gastroenterologen in Münster auf die Bäckerei aufmerksam gemacht, wenn die Frage im Raum steht: „Zöliakie oder Glutenunverträglichkeit – und was kann ich jetzt noch essen?“ Auch die Deutsche Zöliakie Gesellschaft weist auf die Spezialbäckerei hin. „Wir können wegen Kapazitätsengpässen gar nicht alle Nachfragen beliefern“, so der Meister.

Angelika Kisfeld fühlt sich bestätigt, dass der beschrittene Weg richtig ist, wenn sie Rückmeldungen  von Kunden bekommt: „Die meisten Erkrankten sind nur dankbar, wenn sie ein schmackhaftes, nahrhaftes Brot erhalten können. Gemecker gibt es  gar nicht.“

Die Mühe hat sich gelohnt. Die Produkte sind hochpreisiger (ein Kilo glutenfreies Brot kostet zwischen neun und zehn Euro), der Umsatz ist gestiegen. „Die Leute merken, hier stimmt die Qualität.“ Gleiches merken Johann Georg und Angelika Kisfeld auch an der eigenen Lebensqualität: „Wir gehen gern zur Arbeit.“ Da passt das Motto der Bäckerei: „Zöliakie ist nicht heilbar – aber Zöliakie ist beherrschbar!“ 
 
ZÖLIAKIE
Die Deutsche Zöliakie Gesellschaft (DZG) erklärt die Krankheit so: „Zöliakie ist eine chronische Erkrankung des Dünndarms, die auf einer lebenslangen Unverträglichkeit gegenüber dem Klebereiweiß Gluten beziehungsweise der Unterfraktion Gliadin beruht. Gluten und Gliadin kommen in den Getreidearten Weizen, Dinkel, Roggen, Gerste und in handelsüblichem Hafer vor, sowie in den alten Weizensorten Einkorn, Emmer und Kamut (Khorasan-Weizen) vor.“
 
Bildunterzeile:
Aus der Krise zu einem neuen Geschäftsmodell: Bäckermeister Johann Georg Kisfeld mit Ehefrau Angelika und den glutenfreien Produkten

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Von Vera von Dietlein
Oktober 2017
 

"Wir sind ein Teil von Apple"

Schlichte Ästhetik und ausgeklügelte Funktionalität zeichnen die IT-Produkte von Apple aus. In allen Läden und auch in seiner neuen Firmenzentrale im kalifornischen Cupertino setzt der Global Player auf feinste Meisterarbeit „Made im Münsterland“.

Foto: © Peter Leßmann

Die handwerkliche Qualität finde ich beeindruckend“ schwärmte Apple-Chef Tim Cook, als Heinz-Herbert Dustmann ihn in der Tischlerei der Dula-Werke in Vreden begrüßte. Dula fertigt die Designereinrichtung für die Läden von Apple in Amerika, Asien und Europa. Cook kam, um seine Wertschätzung für den deutschen Partner und den hohen technischen Standard der Möbelstücke auszudrücken. „Für Qualität gibt es keinen besseren Ort als Deutschland“, so der Lenker des – gemessen an Aktienkursen – wertvollsten Unternehmen der Welt. Apple vergibt jährlich Milliardenaufträge an deutsche Zulieferer.

Für Dula-Geschäftsführer Dustmann war es die erste Begegnung mit dem Konzernchef. Der Betrieb mit Hauptsitz in Dortmund und über 1.000 Mitarbeitern gehört zu den internationalen Größen im Laden- und Innenausbau. „Unser Selbstverständnis ist aber das eines mittelständischen Familienunternehmens“, stellt Dustmann klar. Der gelernte Tischler und studierte Betriebswirt übernahm 1990 von seinem Vater die Leitung der Dula-Gruppe. Heute, mit 65, ist er im Ehrenamt auch Präsident der Industrie- und Handelskammer Dortmund, und dennoch: Das Handwerk spielt eine Hauptrolle in der Erfolgsgeschichte. „Handwerk made in Germany kommt bei den Kunden gut an“, weiß Dustmann.

Die Tischlerei bildet den Großteil der Produktionspalette. 126 Mitarbeiter sind in Deutschland in der Holzverarbeitung tätig, 13 in Gesellenprüfungsausschüssen der Kreishandwerkerschaft Borken aktiv, 16 Auszubildende erlernen in Vreden das Tischlerhandwerk. In einer Übungswerkstatt wird auf Weltklasseniveau trainiert. Auch Jugendliche, die es sonst schwer haben, erhalten eine Chance. Selbst der hohe Besuch aus Amerika erkundigte sich nach dem System der dualen Ausbildung und suchte das Gespräch mit Lehrlingen.

Die Zusammenarbeit mit Großkunden  bedeute, dass sich regelmäßig Abläufe änderten, so Dustmann. „Wir müssen sehr flexibel sein, um schnell auf neue Entwicklungen in der Software, seitens Architekten und des Einkaufs reagieren zu können.“ Die zehnjährige Zusammenarbeit mit Apple geht auf eine Anfrage eines Designbüros zurück, das einen Prototyp für ein Möbelstück für die Kalifornier in Auftrag gab. Qualität setzte sich durch und weitere Orders folgten.

Für Heinz-Herbert Dustmann steht Verantwortung im Zentrum der Firmenphilosophie. Sie ist für ihn ein moderner Ausdruck des ehrbaren Kaufmanns – und diese Haltung schätzt Apple offenbar. Bei einem weiteren Handwerksbetrieb der Region begann die Zusammenarbeit mit Apple klein und wuchs beständig. Metallbauermeister Jürgen Polenz aus Lüdinghausen sagt heute: „Wir sind seit zehn Jahren ein Teil von Apple.“ Am Anfang stand die Aufgabe, in München die Einrichtung zu montieren. Seine Vorschläge zur Erleichterung der Arbeiten wurden angenommen, Folgebestellungen für Edelstahlkonstruktionen gingen ein.

Die Apple-Designer machen den Ladenbauern Vorgaben, damit weltweit alles gleich aussieht. Als Edelstahl passé war, drohte Polenz und hundert Mitarbeitern der Wegfall des Konzerns aus der Kundenliste. Polenz vertiefte sich in die Maßgabe, dass die Einrichtung komplett weiß sein sollte, und entwickelte ein einzigartiges Material: schneeweiße Wände aus nachwachsenden Rohstoffen wie Mais, Raps und Leinsamen mit Quarz. Er punktete mit Nachhaltigkeit und hat seitdem weltweit bereits 40 Stores damit ausgestattet, weitere folgen. Die Erfindung ist eine von mehreren Entwicklungen, die er für seinen größten Kunden als Patent angemeldet hat.

Polenz war mit 21 Jungmeister, machte sich als Spezialist für Edelstahlgeländer selbstständig und übernahm später den elterlichen Betrieb. Die Zeichen standen weiter auf Expansion; Nobelyachtbesitzer und Ladenketten wollten bedient werden. Der Umgang mit Großkunden sei mittlerweile nicht immer nur einfach“, verrät Polenz, „vor 30 Jahren galt noch das Handschlagprinzip. Heute werden umfangreiche Planungen verlangt, Banken und Kreditversicherungen einbezogen, die Auftraggeber bestehen auf Vertragserfüllungsbürgschaften.“ Längst schaltet Polenz juristische und steuerliche Spezialisten ein – er sucht stets die Besten. Auch intern setzt der Unternehmer auf Expertentum. Polenz bildet seinen Berufsnachwuchs selbst aus, aktuell 44 Lehrlinge. Alle werden übernommen, fast alle machen später die Meisterprüfung und bekommen Weiterbildungsangebote. Dustmann und Polenz hoffen, dass sich  die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen jetzt nicht erschweren. Das unterstrich auch Cook in Vreden: „Eine integrierte Welt ist besser. Durch Handelsbarrieren verlieren alle Beteiligten.“

Bildunterzeile:
Metallbauermeister Jürgen Polenz entwickelte das neue Material aus nachwachsenden Rohstoffen.

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von Vera von Dietlein
Juli 2017